Wer ich bin

Aus der Einleitung meines Buchs „Federleicht: die kreative Schreibwerkstatt. Wie Die kraft Deiner Worte zur Lebenskraft wird“

 

Wer ich bin: eine Autorin, die ehrlich sagen kann, dass sie lebt, um zu schreiben – und schreibt, um zu leben. Ich bin ein Mensch, der schreibend denkt, schreibend träumt, schreibend erinnert und schreibend mit der Welt in Austausch tritt. Und ich bin ein Mensch, dessen Leben durch das Schreiben beglückt und bereichert wird.

Doch ich bin zugleich eine Frau, die Ihnen erzählen kann, dass das nicht immer so war. In der Schule, da hatte ich panische Angst vor dem Schreiben. Vor den Klassenarbeiten in Deutsch, ja sogar vor jedem Aufsatz, den ich abgeben musste. „Ich kann nicht schreiben“, das hielt ich leider für wahr. Ich wurde damals von einer Lehrerin geplagt, die meinen Stil nicht leiden konnte. Ihr Rotstift traf mich stets an den überraschendsten Stellen. „Ausdrucksmangel!!“ Das war, wenn es um meine Texte ging, ihr Lieblingswort. Ein schlimmes Wort. Unberechenbar, ein Wort ohne verstehbare Regeln. Ein willkürliches Urteil, das in der Lage war, mich in tiefe Unsicherheit zu stürzen und mir die Lust, mich schreibend auszudrücken, völlig zu vergällen.

Ich hatte damals eine beste Freundin. Sie hieß Christina, ging in meine Klasse, sie hatte am selben Tag Geburtstag wie ich – und sie träumte davon, einmal Schriftstellerin zu werden. Im Gegensatz zu mir wurde sie immer gelobt. Sie bekam die Einsen. Da war kein Hauch von Rot in den Korrekturen ihrer Arbeiten zu sehen. Christina half mir oft bei den Hausaufgaben, sie besserte aus, was unsere Lehrerin stören könnte. Doch das half leider gar nichts. Ausdrucksmängel findet man immer, wenn man sie finden will.

 

Niemals hätte ich es gewagt, gemeinsam mit meiner Freundin vom Schreiben, von einem schreibenden Leben zu träumen. Nun ja: Geflüstert haben sie schon, die Stimmen der Sehnsucht, des großen Traums vom Schreiben. Aber ich versuchte gewissenhaft, sie nicht mehr zu hören. Ich brachte meine Matura hinter mich, begann, Musik zu studieren – und schrieb fortan lieber nichts mehr. Fast gar nichts. Bis zu dem Jahr, in dem ich vierunddreißig wurde.

Es war das Jahr, in dem ich erstens: wieder zu schreiben begann, weil das immer noch besser war als verrückt zu werden, und in dem ich zweitens: wie durch ein Wunder einen Verleger fand, der an mich glaubte und mich zum Weiterschreiben, zum Überarbeiten und zum hingebungsvollen Feilen an meinen Texten ermutigte. Dieser Verleger brachte mir bei, was guter Ausdruck wirklich ist. Er zeigte mir, wie eng authentische, lebendige Sprache, wie eng die Freude am Schreiben mit der Freude am Fühlen, am Denken und am Erleben zusammenhängt – und wie sich das alles fast wie von selbst entwickelt, sobald man lernt, sich selbst ernst zu nehmen, während man zu Papier bringt, was man sagen will.

Was folgte, war ein Buch, das zum Bestseller wurde: Vier minus drei. Dann eine Ausbildung in Poesie- und Bibliotherapie. Ein zweites Buch, das ebenfalls auf der Spiegel-Bestsellerliste landete: Warum gerade du? Der Beginn meiner Tätigkeit als Schreibpädagogin. Und, inzwischen, ein Leben, aus dem das Schreiben nicht mehr wegzudenken ist.

 

Seltsam genug: Es war die Sprachlosigkeit, die am Neuanfang meines Schreibens stand. Warum? Weil das Leben meines Mannes und meiner beiden kleinen Kinder zu Ostern 2008 ein allzu frühes Ende genommen hatte. Das Auto, in dem die drei gerade einen Ausflug machen wollten, war an einem unbeschrankten Bahnübergang mit einem Zug kollidiert. Mein Mann war sofort tot, meine Kinder starben ein paar Tage später im Krankenhaus.

Inzwischen weiß ich, dass der Verlust der Worte für viele Menschen ein wichtiger Schlüssel zum Schreiben ist. Wenn das Leben bricht, wenn die Stimme versagt, wenn ein schlimmes Erlebnis uns zum Verstummen bringt, steigt der innere Druck der Gedanken und Gefühle. Oft führt das zu einer Entladung auf Papier. Für manche Menschen ist das der Beginn einer regelmäßigen Schreibpraxis. Aus Not begonnen, wird das Schreiben schließlich zum Lebensquell.

 

Bei mir sah das so aus: Am Wendepunkt meines Lebens, an diesem Ende, das ungeplant und ungewollt zu einem neuen Anfang werden musste, schrieb ich, in einer Art Marathon, eine acht Seiten lange E-Mail. Ich schreib an meine Freunde, weil ich ihnen sagen wollte, dass sie sich nicht davor fürchten sollten, mich zu besuchen, weil ich nämlich nicht sabberte, nicht mit Dingen um mich warf und kein wirres Zeug von mir gab, sondern einfach nur schweigen wollte, jedoch zu voll mit verwirrten Gefühlen war, um das ganz allein durchzustehen. Ich erzählte außerdem davon, was ich auf der Intensivstation im Krankenhaus erlebt hatte. Und ich bat um Geschenke für das Begräbnis: keine Kränze, sondern Geschichten über Erlebnisse mit meiner Familie, an die sie sich erinnerten, bitte auf buntem Papier notiert.

Diese Mail, er war wohl der erste Text meines Lebens, den ich vollkommen anspruchslos, zweckfrei und ohne jegliche Selbstzensur schrieb. Ein Text, der zwar an Freunde gerichtet, aber vor allem eines war: eine offene, unverhohlene Aussprache zwischen mir und mir. Er war: ich – in sehr einfache Worte gefasst.

Ich breitete meine Worte langsam und sorgfältig aus. Ich wurde zu einer Art Buchstabennudelhaufen auf einem Word-Dokument, das einem weißen Teller glich. Ich ordnete mich, intuitiv, nach Kriterien, die sich während des Ordnens ergaben. Ich setzte Buchstaben an Buchstaben, Wort an Wort, ich folgte Regeln, die ich nicht wirklich verstand. Doch es schrieb sich, scheinbar wie von selbst. Und ich schaute zu.

Die Mail ging an meine Freunde, dann bald weiter an die Freunde meiner Freunde, sie landete im Internet, fiel Redakteuren von Zeitungen auf. Bald war der Text in mehreren Blättern abgedruckt und erregte Aufsehen. Warum? Bestimmt nicht, weil er besonders gut geschrieben war. Sondern eher: weil er überhaupt geschrieben worden war, von einer Frau, die etwas Existenzielles erlebt hatte und irgendwie in der Lage gewesen war, es so auszudrücken, dass man ihr folgen konnte und das Erlebte verstand.

 

Seit jener Mail im Jahr 2008 hat sich an der Art, wie ich schreibe, nur wenig geändert. Ich habe zwar Übung im Überarbeiten bekommen, habe gelernt, dass Texte ruhen müssen, um reifen zu können, und ich weiß heute, dass ein Text nach ein paar Tagen in der Schublade meistens selbst sagt, was er braucht, um noch besser zu strahlen. Aber jedes Mal, wenn ich wieder vor einer leeren Seite sitze, um etwas Neues zu beginnen, erfasst mich dieses ruhige Vertrauen: dass es genügt, mir selbst zuzuhören und einfach mit dem Schreiben zu beginnen. Dass die Worte sich schon fügen werden. Und dass es besser ist, überhaupt zu schreiben, als gutschreiben zu wollen.

Bis heute ist mein Schreiben eine ehrliche, ernst gemeinte Aussprache zwischen mir und dem Leben geblieben. Das Leben und ich, wir erschaffen immer wieder ein gemeinsames Werk. Wir suchen gemeinsam nach dem, was sagbar und wesentlich ist. Und wir freuen uns, wenn etwas, irgendetwas entsteht – vielleicht nur ein Wort oder ein einzelner Satz. Manchmal auch mehr.

 

Heute gebe ich dieses Vertrauen in das Finden der Worte an andere weiter. Ich ermutige Menschen in Workshops zum Schreiben. Dabei gebe ich ihnen Übungen, Werkzeuge und Inspirationen an die Hand. Doch wichtiger als jede Technik ist mir etwas anderes: das Vermitteln der inneren Haltung, die das Schreiben im Leben tragfähig macht. Ich meine, dass die Haltungen, die man beim Schreiben entwickeln kann, Haltungen für ein gutes Leben sind. Ehrlichkeit. Neugier. Liebe zu sich selbst. Man kann diese Haltungen üben, man kann sie pflegen. Zum Beispiel, indem man ab und zu ein wenig schreibt.

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