Widerstände: so werden sie Freunde
Hach, das Lesen könnte so schön sein. Alles im Flow, alles fein, außen und innen nichts als wonnige Sonne.
Aber, öh: Kennst Du das auch? Sagen wir mal, nur hypothetisch: … Du sitzt in einem Kurs. Ein bisschen aufgeregt, hat den Stift in der Hand. Deine Sitznachbarn sehen freundlich aus. Die Kursleiterin auch. Die Aufwärmaufgabe war lustig und ging Dir leicht von der Hand. Aber plötzlich …
War es ein Wort in der Anleitung? Erinnert Dich die Übung an etwas von früher? Stößt Du unerwartet auf Schwierigkeiten? Gelingt es nicht so, wie Du willst?
Frust. Ärger. Widerstand.
Diese Gesellen kommen manchmal zu Besuch. ob man will oder nicht.
Ich will mich heute der Frage widmen, was ich eigentlich mache, wenn ich beim Schreiben (oder, kürzlich passiert: beim Zeichnen einer Neurographik, im Online-Kurs „Durch und durch“) einen Widerstand erlebe.
Was hilft mir in so einem Fall? Wie gehe ich mit dem „Bäh“ in mir um? Welche Erfahrungen habe ich bisher mit Widerständen gesammelt?
Hüpfen wir rein in die Situation: Stell Dir mich vor. Vor mir ein Blatt Papier, auf dem sich viele Linien von unten nach oben schlängeln. Das Ganze hat in etwa die Form eines Baums. Du siehst mich gerade winzige Kurven zeichnen, da, wo Linien aufeinander stoßen und Ecken bilden. Dieses Zeichnen von Kurven nennt man „abrunden“.
Mein Hauptproblem in dieser Situation: Ich habe keine Lesebrille auf (und mag nicht aufstehen, um sie zu holen). Alles verschwimmt vor meinen Augen. Noch allerdings weiß ich nicht, dass mein Frust daher kommt. Ich habe insgesamt das Gefühl, dass alles gerade ganz blöd ist. Hallo, Widerstand. Ich schau Dir jetzt einmal direkt ins Gesicht. Wie siehst Du aus? Was soll ich nur mit Dir tun?
„Das ist nichts für mich“
Ja. So lautet einer der Sätze, die mein Hirn automatisch denkt, wenn es gerade den Fluss verliert. Momente, in denen ich ungeduldig werde, in denen mir die Aufgabe unlösbar erscheint, in denen ich frustriert bin, weil „irgendwas falsch ist“.
Ich neige in solchen Momenten zur Flucht. Manchmal gebe ich ihm nach, diesem Impuls. Dann drehe ich einfach den Computer ab – oder klicke mich heimlich auf Facebook.
Aber … oft, immer öfter, entscheide ich mich, doch dazubleiben. Ich versuche, die Gelegenheit zu nutzen, um mit mir und dem Widerstand herumzuprobieren.
Ein Wort, das mir dabei immer hilft, ist das Wort „interessant“. Das war ja schon vor mehr als fünfzehn Jahren mein Clown-Wort, Heidi Appenzeller (mein Clown) fand alles immer höchst interessant. Inzwischen habe ich genau dieses Wort auch schon von Elizabeth Gilbert („The Big Magic“) gehört, und kürzlich von noch einem ganz weisen Menschen, ich habe vergessen, wer es war, aber ich dachte sofort: Ah, schau, Du auch? 😀
Auch Nadja hat dieses Wort im Kurs „Durch und durch“ schon öfters verwendet. Sie sagt es so lieb, so neutral, so wirklich wertschätzend, wenn jemand erzählt, dass er (sie) gerade Wut spürt oder den Stift hiunschmeißen will. Sie sagt es in einem Ton, der ganz klar vermuten lässt, dass hier nicht das Ende der Geschichte ist, sondern ein sehr spannender Teil, der den nächsten Schritt weisen könnte.
Flucht ist legitim
Als traumasensible Gruppenleiterin bin ich weit davon entfernt, Menschen durch den Widerstand durchzuzwingen. Ich habe das selbst einmal erlebt, bei einem Trauerbegleiter aus Griechenland, der mir in einem Kurs sagte: „Wenn Du jetzt gehst, wird das ganz schlimme Folgen haben“. Gott sei Dank hatte ich eine kompetente Freundin, die mich nach dem Kurs aufgefangen und mit Sekt und viel lautem Lachen wieder auf den Boden gebracht hat.
Ich selbst zwinge mich auch nie dazu, um jeden Preis dranzubleiben, wenn ich denke: Das passt jetzt nicht. Manchmal passt es wirklich besser, spazierenzugehen, den Garten zu gießen, schlafen zu gehen oder etwas zu machen, das mir mehr Freude macht.
Aber ich fliehe nicht schnell. Denn ich weiß auch, aus Erfahrung, dass an den Widerstands-Punkten eine Chance auf mich wartet. Nicht (immer) die Chance, den Widerstand zu überwinden. Ich finde, das wird überbewertet. Und es hilft überhaupt nicht, denn der Widerstands-Kobold in meinem Hirn ist ja nicht blöd. Er wittert es gleich, wenn ich ihm sage: Bleib dran, das ist eine große Chance (zu sehen, dass Du Unrecht hast). Nein, das mag er gar nicht. Denn er hat (zum Teil) sehr oft Recht.
Wenn ich „dranbleiben“ sage, meine ich nicht: einfach weitermachen, brav „folgen“. Sondern ich meine: erkunden, was ich – in mir oder im Außen – anpassen kann, damit der Flow und der Spaß wiederkommt. Und da geht sehr viel.
Denn was sich „Widerstand“ nennt, kann Diverses bedeuten.
Es kann heißen, dass eine Grundüberzeugung an ihre Grenzen stößt. Es kann heißen, dass ich mich selbst unter Druck setze. Es kann heißen, dass sich mein Unterbewusstes an eine frühere Erfahrung erinnert, die schlecht für mich war. Es kann heißen, dass ich mich zu sehr vergleiche. Es kann heißen, dass ich Hochrechnungen mache, die vielleicht gar nicht stimmen.
Widerstand kann auch heißen, dass ich gern etwas fragen würde, mich aber nicht traue. Es kann heißen, dass ein Wert, der mir wichtig ist, sich bedroht fühlt (Freiheit, Schönheit, Korrektheit …). Vielleicht habe ich mir auch (aus Selbstschutz) angewöhnt, alles in Frage zu stellen und nur ja nicht (zu) blind zu vertrauen. Es kann auch heißen, dass hier ein Schritt in die Hingabe dran ist. Über eine Schwelle, hinter der ganz Großes wartet. Dieser Schritt ist der schwerste, jeden Tag, immer wieder.
Sieben Fragen, sieben Ideen
Wenn ich mein „Das geht nicht“ bei seinem Rufen erwische, halte ich erst einmal inne. Ich bemerke den Wunsch, den PC abzudrehen, auf Facebook zu gehen oder – in Situationen ohne Bildschirm – den Raum zu verlassen. Ich schiebe den Wunsch nicht weg. Aber ich frage ihn: Wollen wir uns hier noch ein klein Bisschen umschauen? Meistens stimmt er zu.
Ich folge dann keiner inneren Checkliste aus sieben Punkten, auch wenn die Zwischenüberschrift hier Dich vielleicht zu diesem Gedanken verlockt. Nein: Ich zünde eher das Licht in meinem inneren Leuchtturm an und leuchte ein paar Mal im Kreis. Ein paar der Fragen, die ich im Kreis auslote, habe ich Dir hier aufgeschrieben, nämlich sieben. Nicht immer finde ich auf jede von ihnen eine Antwort. Aber manchmal in einer einen Schlupfwinkel, der mich in eine neue Erfahrung fühlt.
Denn genau darum geht es bei diesen Fragen. Darum, dem Widerstand zu zeigen: Wenn wir hier weitergehen, muss sich nicht dieselbe Erfahrung wiederholen, vor der Du mich zu schützen versuchst. Sondern eine andere, weil ich bei Dir bin, weil ich achtsam bin und Dich begleite.
Frage #1: Was stört mich hier wirklich?
Bei Widerständen bewährt es sich für mich, Ursache und Wirkung auseinanderzusortieren. Wut, Angst, Wallungen, Kopfweh, das sind Auswirkungen. Ursachen dafür kann es viele geben: Ein Wort, das mich aufgebracht hat. Eine Information, die mir fehlt. Ein Stress, den ich mir mache. Eine Enttäuschung, die ich gerade erlebe (wenn das Bild oder der Text nicht so ist, wie ich wollte).
Oft nehmen wir die Wirkungen wahr und suchen dann gleich nach den tieferen Ursachen: Schultraumata, Kindheitserlebnisse, traumatische Vorerfahrungen.
Ich finde die Zone dazwischen sehr fruchtbar: Was stört mich jetzt, genau jetzt? Welches Wort? Welcher „Fehler“? Welche Erwartung? Vielleicht auch: der Sessel, der unbequem ist. Dass ich keine Brille aufhabe. Dass mir noch Gedanken aus dem Alltag nachhängen.
Vieles von dem, was jetzt „wirklich“ stört, lässt sich einfach beheben. Indem ich es sage. Indem ich nachfrage. Indem ich einen Schluck Wasser trinke. Indem ich mir aufschreibe, was los ist (und meinem Hirn vermittle: Du bist ernst genommen!).
Ich merke: Seit es das Internet gibt, hat sich mein Hirn daran gewöhnt, dass sich jeder Wunsch sofort lösen lässt (mit einem Klick, schon ist alles da) und dass ich auf jede Frage sofort eine Antwort bekommen (Google, hallo!). Momente des Widerstands können mich auch daran erinnern, dass der Zeitspalt zwischen Problem und Lösung etwas mit echtem Leben zu tun hat. Die Dehnung aushalten bringt Lebenserfahrung. Also werfe ich bewusst Eine Münze Vertrauen in den Automaten, der süße Geduldkugeln ausspuckt.
Frage #2: Was ist das hier nicht?
Weißt Du, warum ich meinen Newsletter, die LieblingsLebensPost, so gern schreibe? Weil sie „nur“ ein Newsletter ist. Kein Artikel für Psychologie Heute. Kein Essay für den Stern. Kein Buch mit Bestselleranspruch. Das heißt: viele Ansprüche kommen gar nicht zum Tragen.
Wenn ich einen Widerstand spüre, frage ich mich: Habe ich mich gerade aus Versehen in einen anderen, zu großen Film versetzt?
Bei meinem Neurographik-Baum letzte Woche zum Beispiel habe ich mich in folgenden Filmen ertappt: Ich muss so schön malen wie Nadja (die schon seit mehreren Jahren Neurographiken zeichnet). Ich muss eine Art zu zeichnen lernen, die schneller geht, damit ich sie jeden Tag machen kann (muss ich das wirklich?). Ich muss ganz tiefe Einsichten haben, während ich zeichne. Ich muss das Bild unbedingt fertigbekommen. Ich muss ein Bild zeichnen, das noch besser ist als alle, die ich bisher gezeichnet habe. Wirklich?
Muss ich nicht.
Ich bin nicht in der Schule. Ich bekomme keine Noten. Ich vergeude hier nicht die einzigen zwei Stunden, die ich in meinem Leben für mich habe. Oder, einer meiner Lieblingssätze, gefunden bei der Zeichnerin Martina Wald: „Es ist nur Tinte auf Papier“. Gerade diese letzte Satz hilft mir eigentlich immer, wenn ich mir zu viel Druck mache, beim Zeichnen, beim Schreiben.
Frage #3: Wo könnte ich reingehen?
Diese Frage hilft mir, wenn mein Selbstbeschimpfungs-Modus sehr laut wird. „Deine Linien sind viel zu zittrig“. Oder, beim Schreiben: „Deine Sätze sind zu kompliziert“. Oder: „Du schreibst ja nur Wischiwaschi“.
Ich habe schon viel darüber gehört und gelesen, dass (und wie) man den „inneren Kritiker“ links liegen lassen soll. Manche Coaches schicken ihn auf Urlaub. Manche lassen ihn einfach „da stehen“, ohne ihn zu beachten. Manche (auch ich) bieten ihm Spiele an, um ihn nebenbei zu beschäftigen.
Die Frage „Wo könnte ich reingehen?“ zielt auf etwas anderes ab: auf meine Fähigkeit, tatsächlich etwas zu ändern, wenn es mich stört.
Wenn meine Striche zitterig sind, darf ich mich fragen: Wie kann ich sie flüssiger bekommen? Oder auch: Wie fühlt es sich an, wenn ich einen, nur einen einzigen, einmal bewusst ohne Zittern zeichne? Komplizierte Sätze können dazu führen, dass ich mich frage: Was will ich den hier eigentlich sagen? – und diese Frage beantworte, vielleicht auf einem losen Papier, mit einem weichen Bleistift, in einer Sprache, die ein fünfjähriges Kind verstehen würde. „Wischiwaschi“ ruft mich auf, einen Schritt zurückzutreten und mir einen kurzen Überblick zu verschaffen: Wie ist mein Text bisher strukturiert? Welche Absätze sagen dasselbe? Würden Bulletpoints helfen?
Auf YouTube gibt es ein Satire-Video mit dem Titel „Stop it“. Da geht es um einen Therapeuten, der seiner Klientin rät, einfach mit ihren Neurosen aufzuhören. Sehr lustig, finde ich. Im Fall meiner Widerstände allerdings muss ich behutsamer vorgehen. Nicht „Komm, mach’s doch einfach und hör auf zu jammern“. Sondern: „Komm, wir probieren es jetzt mal ganz vorsichtig. Tief atmen, ein Versuch. Wenn es gar nichts bringt, darfst Du danach aufhören.“ In diesem „kleinen Versuch“ steckt sehr oft eine tiefe Erfahrung. Und mit der darf es dann oft wirklich auch genug sein.
Frage #4: Wie könnte ich das verdauen?
Ein Widerstand zeigt mir manchmal auch auf, dass ich schon genug erlebt, genug zu verdauen habe. In diesem Zusammenhang möchte ich kurz eine Tirade auf das Wort „Mehrwert“ loslassen. Diess Wort fällt in Marketingkursen sehr oft. Alles muss „Mehrwert“ haben. Als ob Wert allein nicht mehr reichte.
Ich schimpfe immer, wenn dieses Wort fällt. Und plädiere für Wert.
Wenn ich in einer Kurseinheit in Minute vier etwas erfahre oder erlebe, das mich wirklich berührt: Wer sagt eigentlich, dass ich weiter im Kursraum bleiben muss (vor allem, wenn es Aufzeichnungen gibt)? In meiner Traumatherapie habe ich gelernt, wie lange Körper und Seele brauchen, um eine Erfahrung wirklich zu integrieren. Im täglichen Leben neige ich oft dazu, mir Erfahrungen reinzustopfen wie Erdnusslocken und Popcorn. Die Kunst, einer Erfahrung Raum, Zeit (und damit Tiefe) zu geben, musste ich erst lernen.
„Du versäumst nichts.“
Dieser Satz stimmt nie. Und immer. Je nachdem, wie ich hinschaue. Bildschirm abdrehen, Ton leise stellen und meiner eigenen Erfahrung nachspüren. Ganz schön ungewohnt, in einem Videokurs. Aber ich merke: Es geht. Und wenn ich so weit bin, kann ich leicht wieder einsteigen, mit einem freundlichen Schulterzucken, das sagt: Was inzwischen war, lasse ich einfach links liegen.
Verdauen sieht bei mir so aus: Die Erfahrung wiederholen (beim Neurobaum zum Beispiel war ich ganz süchtig nach dem Verlängern der Äste. Das hätte ich noch lang weitermachen können. Warum habe ich nicht?) Oft setze ich mich auch einfach hin und spüre. Was spüre ich in meinem Körper? Wo könnte ich eine Hand hinlegen, um die Erfahrung zu verankern? Ein paar Zeilen zu schreiben, hilft mir auch beim Vertiefen. Und ja, manchmal greife ich auch zum Handy, um meiner Freundin von meinem Erlebnis zu erzählen. Nach guten Therapiestunden ist das fast schon ein Ritual.
Frage #5: Was macht mich traurig?
Wenn man „Grundgefühle“ googelt, bekommt man als Ergebnis fünf Wörter: Angst, Freude, Trauer, Scham, Wut. Mancha Artikel nennen auch sechs oder sieben, da kommen noch Überraschung und Ekel dazu.
Andere Psychologen sagen, dass Wut ein sekundäres Gefühl ist – also eines, das sich schützend vor ein anderes, verletzliches stellt. Wut schützt uns davor, Trauer zu spüren. Oder Scham. Oder Angst.
Wenn ich Widerstand spüre, zum Beispiel beim Schreiben, kann es sein, dass ich merke: Ich würde jetzt gern viel mehr herumspielen, viel mehr recherchieren oder erst mal ein Bild malen. Aber ich habe keine Zeit, denn mein Kind wartet im Kindergarten. Oder ich weiß gar nicht, wo ich recherchieren soll (ich habe das nie gelernt).
Bei solchen Themen springt Traurigkeit an. Ich bin traurig, weil mein Leben mir oft keine Zeit lässt. Ich bin traurig, dass ich im Beruf nie einen echten Mentor hatte. Ich bin traurig, weil ich fast nie zeichne. Trauer ist ein Gefühl, das uns hilft, mit Dingen umzugehen, die so sind, wie sie sind. Trauer will nicht verändern, sondern akzeptieren. Die Wut hüpft herbei und schreit. „Neiiiin, wir müssen was tun!!“
Es erleichtert mich, wenn ich die Traurigkeit zulasse. Denn der Anspruch, immer alles verändern zu müssen, strengt mich an. Manchmal passt es viel besser, traurig zu sein – und zu akzeptieren. Ich habe nur eine Stunde für diesen Artikel (und er wird unperfekt sein). Ich habe den Kurs letzte Woche versäumt (und vielleicht wirklich etwas versäumt, das ich jetzt nicht schnell nachholen kann). Ich finde dieses eine Wort nicht, das mir auf der Zunge liegt, so sehr ich auch grüble.
Was man loslässt, kommt irgendwann zu einem zurück. Sagt die Esoterik. Oft stimmt das. Manchmal auch nicht. Mit beidem kann – und muss ich leben.
Frage #6: Kann ich hineinatmen?
Was mir auch beim Akzeptieren hilft, ist ein tiefer Atemzug – oder mehrere. „Akzeptieren“ klingt irgendwie nach „es anders denken“. Das will mein Hirn aber nicht immer, es hat viel zu viel „Aber“ im Sinn. Mein Körper ist da hilfreicher. Ich „akzeptiere“ heißt hier: Ich nehme an. Ich umarme. Ich nehme es in mich hinein, das unschöne Gefühl.
Nicht aushalten. Enthalten.
Eckhart Tolle hat einmal in einem Vortrag gesagt: „Can you be the Space for it?“ Diese Bild hat mich gleich inspiriert. Aushalten tut man mit verbissenen Zähnen und angespanntem Zwerchfell. Raum geben fühlt sich ganz anders an. Weicher, dehnbarer. Locker.
Was passiert, wenn ich Widerstand, Wut und Traurigkeit Raum gebe? Eigentlich immer dasselbe: Es brennt. In meinem Bauch, da, wo er so weich ist. Es fühlt sich an, als hätte jemand Brausepulver (oder, ähm: Speisesoda) auf mein Zwerchfell geleert.
Kein schönes Gefühl. Aber andererseits: Wenn ich mir überlege, was sich mein Hirn und mein Körper alles ausdenken, nur um diese paar Minuten Brennen zu vermeiden … da schießen sie schon recht oft über das Ziel hinaus und bauen Mauern, die mich einengen.
Dazu fällt mir mein Lieblingslied ein: „Break“ von Christine Kane. (Hier der Text auch auf Deutsch)
Inzwischen heiße ich das Brennen willkommen. Weil ich weiß, dass es meinen inneren Raum größer macht. Es „brennt etwas weg“, das vielleicht schmelzen darf.
Frage #7: Um wie viel Zeit geht es?
Was schmilzt, muss ich ja nicht für immer preisgeben. Auch hier sage ich mir: nicht radikal. Nicht für immer. Nicht mit dem Gedanken: Was vorher war, war schlecht und jetzt bessere ich mich. Sondern behutsam: Wenn ich mich entschließe, mich auf eine Situation einzulassen, die mein Zwerchfell brauseknistern lässt, gehört (für mich) ein Zeitrahmen dazu. Sonst glaubt mein Hirn gleich, es geht hier um(s) Leben (und Tod).
In den meisten Fällen geht es um ein paar Minuten. Oder maximal um eine Stunde. Mir hilft es, mir diese Zeit auf der Uhr vorzustellen. Und auch das, was danach kommt.
Als ich zu meinen ersten Talkshows eingeladen wurde, war ich so nervös, dass ich am liebsten abgesagt hätte. Mein damaliger Partner sagte mir: Denk an den Moment, wo es vorbei ist. An das Bier danach, an die Erleichterung. An den Heimflug und das Aufsperren der Wohnungstür. Das hat mir sehr geholfen.
Wenn ich sitze und schreibe (und dabei ein Widerstand anklopft), denke ich an das Essen am Herd. Oder an die WhatsApp-Nachricht, die ich danach anhören werde. Oder einfach an die Uhrzeit, zu der ich wieder „normale Dinge“ tun werde. So setze ich nicht nur die Zeit, sondern auch die Erfahrung in Relation.
Frage #8 (Extra-Frage): Welcher Satz trägt mich jetzt?
Wenn ich all diese Fragen gut ausgeleuchtet habe, fällt mir meistens ein Satz ein. Ein einfacher, kurzer. Ein Satz, der mich durch die Erfahrung hindurch trägt – oder der es mir möglich macht, ohne zu großen Frust auszusteigen.
Am Montag, beim Neurobaum, war es der Satz: Einfach tun reicht. Er hat mir den Druck genommen, beim Zeichnen auch noch kluge Gedanken haben zu müssen.
Beim Schreiben ist es manchmal der Satz: Überarbeiten kommt später. Oder: Dann schreib ich heute halt mal so. Oder: Muss ja jetzt niemand lesen. Oder: Ich bin sicher nicht die Einzige, die das hier nicht kann. Oder: Wenn ich es morgen lese, fällt mir sicher gleich auf, was ich ändern kann.
So weit meine Gedanken und Erfahrungswerte.
Ich freue mich, wenn Du mit uns teilst, welche Erfahrungen Du mit Widerständen gesammelt hast. Wie Du sie umgehst, überwindest – oder sie Dir zum Freund machst.
Bis gleich, im Kommentarfeld,
Deine Barbara
Comments
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Marianne
Liebe Barbara, vielen Dank für die Liebe, mit der du deine Gedanken und Erfahrungen mit uns teilst! Ich fühle mich davon immer tief berührt, bereichert und ermutigt, selber großzügig anderen und auch mir selbst gegenüber zu sein. Alles Gute für Dich und die Deinen!
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Tanja Fuchs
Liebe Barbara! Herzlichen Dank, dass du einfach so in mein Leben gepurzelt bist. Du bist eine große Bereicherung für mich! Ich freue mich jetzt schon auf die nächste Post von Dir! Alles Liebe sendet Dir, Tanja Fuchs.
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Angelika
Liebe Barbara, vielen Dank für die Sonntagspost u d ganz speziell für diese. Sie schenkt mir einen neuen Raum, mit einer neuen Erkenntnis wie ich meinen Widerstand neu sehe und damit umgehen kann. Außerdem schenkt es mir die Erkenntnis nicht allein zu sein mit meinen Widerständen. Von Herzen ein Danke Angelika
Gertraud
Liebe Barbara! Ich freue mich jeden Sonntag wenn Post von dir kommt! Es ist immer so ehrlich und so klug, oft klingt es weise und heute habe ich mich besonders gefreut weil ich auch beim Zeichnen vom Neurobaum dabeisein durfte. Oh ja diesen Widerstand habe ich auch kennengelernt. Von, wow das ist ja schön und bunt bis zu Ecken abrunden nervt, dann nein ich mag es doch und dann noch der Baum ist fertig, schön aber so bunt irgendwie wie eine Kinderzeichnung. Aber vielleicht will gerade auch das mir etwas sagen. Ich denke noch darüber nach. Und soviel besser die Erkenntnisse kommen am Papier, als das Leben verpasst mir eine Lehre. Danke für deine lieblingslebenspost! Für mich ist sie wertvoll! Gertraud